Yoga mit Sehnenscheidenentzündung

Ohne wenn und wirklich

Lange Zeit lief ich mit Überzeugungen durch mein Leben, die mir dasselbe ziemlich schwer machten, aber wenn man wirklich will, kann man das ja ändern! Oder?

Pauschalisieren ist ja bekanntlich nötig, um in unserer komplexen Welt überhaupt noch irgendwie durchzublicken. Manchmal sehne ich mich aber nach größerer Komplexität, insbesondere wenn es um Sätze geht, die immer ein „wenn …“, meistens ein „wirklich“ und schließlich ein „dann … !“ enthalten. Sie sind einfach fies, ihretwegen fühlt man sich ständig schuldig. Die Klassiker: „Wenn man sich wirklich liebt, dann …“, „Wenn man gut ist, dann findet man einen Job!“ – oder ganz allgemein gesagt „Wenn man wirklich will, schafft man das!“. Klingt so lange beruhigend, bis man es ausprobiert hat.

So wie ich, zum Beispiel: „2016“, so hatte ich beschlossen, „lerne ich die Yogaposition Handstand!“. Ich hielt das für realistisch, da ich mich trotz meiner kaum vorhandenen Armmuskulatur relativ sicher durch alle möglichen Armbalancen hangelte. Nur im Handstand fand ich sie einfach nicht, die Balance. Also übte ich jeden Tag, versuchte die fehlende Muskulatur durch zusätzliches Training aufzubauen und dehnte, um die nötige Flexibilität in den Beinen zu erhalten. Und ich saugte alle Haltungstipps auf, die ich finden konnte. Was folgte, war nur leider kein virtuoser Handstand und schon gar nicht das berauschende Gefühl zu fliegen, sondern eine chronische Sehnenscheidenentzündung, die bis heute noch nicht ganz ausgeheilt ist. An Fliegen auf den Händen ist also erst einmal nicht mehr zu denken. Und die leidenschaftliche Arbeit an der Sache hat mir in diesem Fall nicht geholfen. Ich hätte es lieber fließen lassen – oder besser das Fliegen lassen sollen.

Was soll ich daraus lernen? Dass zu viel wollen dann auch wieder schlecht ist? Also müssten die Sätze korrekt so gehen: Wenn man wirklich will, aber nicht zu sehr, dann kann man es schaffen. Tja, nicht so einfach.

Und wie müsste der Satz für die Sache mit dem Job in meiner komplexeren Welt heißen? Vielleicht ja in etwa so: Wer gut ist, und die nötigen Kontakte hat, zur rechten Zeit am rechten Ort ist, sich gut anpassen kann und einen Beruf gelernt hat, in dem eine gewisse Nachfrage an Arbeitsplätzen besteht, der findet vielleicht einen Job. Hört sich lange nicht mehr so knackig an.

Liebe fehlt jetzt noch, habe ich mich bis zum Schluss darum gedrückt und schiebe erst mal ein Beispiel vor: Ein Bekannter von mir bekam einmal ein sehr gutes Jobangebot. Allerdings viele Hunderte Kilometer weit weg von seiner Heimatstadt, wo er gerade seine neue Freundin kennen gelernt hatte. Er sagte damals sinngemäß: „Wenn man sich wirklich liebt, dann schafft man das!“. Die Beziehung ging auseinander, bevor der neue Job angetreten war. Und jetzt? Wie hätte man den Satz sonst formulieren können? Ich fühle mich eigentlich nicht im Stande über die Liebe irgendetwas Vollständiges zu schreiben, deshalb nur ein Versuch: Wer sich wirklich liebt, geduldig ist, Kompromisse schließen, verzeihen und Verantwortung übernehmen kann, wer viele Eigenschaften hat, die man für ein gutes Zusammenleben braucht, wer fördert, was den Partner zum Lachen, und unterlässt was ihn zum Weinen bringt, – und ewig so weiter, denn für jede einzelne Beziehung dieser Welt müssten hier individuelle Eigenschaften aufgelistet werden, die für ihr Fortbestehen notwendig sind – der könnte eventuell mit seinem Partner zusammen bleiben, wenn alles gut geht. Hilfe!

Der Witz an diesen Sätzen ist ja: je länger, desto sinnloser. Es sind ja auch gar keine richtigen Sätze mehr, wenn sie so lang werden, dass man sich am Ende nicht mehr an ihren Anfang erinnert. Ich habe mich jedenfalls von ihnen verabschiedet. Schon allein deshalb, weil ich keine Lust mehr habe, mich ihretwegen ständig mit einem schlechtem Gewissen herumzuschlagen. Weil irgendwas wieder nicht wirklich, nicht genug oder generell gar nicht war. Ich muss gestehen, dass ich nicht den geringsten Plan habe, wie man immer das erreicht, was man wirklich möchte und den Job bekommt, in dem man wirklich gut ist.

Aber so ernst und düster sollte es jetzt eigentlich gar nicht werden. Ich hätte das Thema ganz anders aufziehen sollen. Es ist mal wieder wie verhext: So sehr ich mich auch angestrengt habe, dieser Text ist einfach nicht heiter und undogmatisch geworden. Ich wollte es wirklich!

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Ein Kommentar zu Ohne wenn und wirklich

  1. Tja das mit dem etwas wirklich wollen oder sich sehr wünschen kenne ich…vielleicht ist der Haken, wenn ich etwas so sehr will ich eben nicht fließen lasse sondern angestrengt versuche alles Mögliche dafür zu tun…..aber ich weiß es auch noch nicht

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