Kontakt-Verstimmung
Über die Schwierigkeit, in Verbindung zu bleiben
Gestern auf dem Nachhauseweg las ich irgendwo im Vorbeigehen ein Zitat Albert Einsteins: „Man muß die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher.“ Seitdem fällt mir das ständig wieder ein. Wahrscheinlich, weil es so gut zu einem Thema passt, das mich gerade beschäftigt: Kontakte. Seit ich dieses Zitat im Kopf habe, überlege ich, ob das Knüpfen und Pflegen von Kontakten in den vergangenen Jahren nicht nur „so einfach wie möglich“ geworden ist, sondern womöglich „einfacher“.
Locker mit jemand Kontakt zu halten, bedeutete in der Zeit vor den Sozialen Medien noch, sich ab und an zu sehen, vielleicht mal zu telefonieren oder sich zu schreiben. Erst wurde das Kontakthalten auf SMS verkürzt, was ja schon wesentlich weniger Zeichen erlaubt – aber es war noch persönlich. Jetzt kommt man schon völlig ohne direkte Kommunikation aus. Die einmalige Verknüpfung in einem Sozialen Netzwerk reicht schon. Oft braucht es keine Worte mehr und schon gar keine Sätze. Stattdessen vielleicht noch ein paar „Gefällt mir“ im Jahr. Man klickt einen „Button“. Eine minimale Geste, mit der man wenigstens zeigt, dass man noch mitliest.
Da eine Kontaktaufnahme jetzt so einfach geht, ist man sich ja im Falle einer Anfrage auch nie ganz sicher, ob man wirklich gemeint ist. Der andere könnte sich verklickt haben – ist mir schon mal passiert: kurz verwischt, Anfrage gesendet an Unbekannt. Vielleicht steckt aber auch nur irgendeine Programmautomatik dahinter, die der Anfragesteller gar nicht bewusst ausgelöst hat und die mich jetzt in seinem Namen zu einer Verknüpfung in einem weiteren sozialen Netzwerk „einlädt“. Darauf einzugehen fühlt sich für mich so ähnlich an, als wäre man als ungeladener Gast bei einer Veranstaltung aufgetaucht, weil man versehentlich eine Einladung in der Post hatte. Deshalb lösche ich solche automatisch generierten E-Mails immer schneller, als mir flau im Magen werden kann. Eine weitere unangenehme Möglichkeit wäre, dass dem Anfragesteller nur langweilig war. Und zwar derart, dass er nach sämtlichen ehemals bekannten Personen suchte, um diese wahllos zu seinem virtuellen Freundeskreis hinzuzufügen. Natürlich ohne mit ihnen wieder wirklich in Verbindung treten zu wollen.
Kontaktiert zu werden ohne „gemeint“ zu sein, kam vor dieser verpflichtungslosen Netzwerkerei einfach seltener vor. Telefon- und Adressbücher mit Papierseiten haben keine automatischen Freundschaftseinladungen verschickt. Und ich bezweifle, dass viele aus purer Langeweile Telefonnummern von entfernt Bekannten in mühseliger Recherche aufgetrieben hätten. Ein Riesenaufwand! Und dann noch da anrufen, nur mal so, ohne sich wirklich für die Person zu interessieren? Auf dem Festnetz? Eventuell würde dann zunächst noch jemand anderes drangehen, mit dem man auch erst einmal kommunizieren müsste. Schon allein darüber nachzudenken ist so abschreckend zeitintensiv – mit ein wenig „Wischen und Tippen“ wäre das nicht erledigt gewesen.
Aus heutiger Sicht war es damals sowieso ungeheuer anstrengend, Kontakt aufzunehmen und zu halten. Trotzdem fühlte man sich, glaube ich mich zu erinnern, nicht überfordert. Womöglich waren wir einfach noch besser trainiert, als jetzt gerade. Könnte ja sein, dass sämtliche Eigenschaften, die früher bei diesen „Kontaktangelegenheiten“ noch nötig waren, wie ungenutzte Muskeln, immer schwächer werden, weil man sie hierfür mittlerweile nicht mehr braucht.
Eigentlich ist es doch ein großer Fortschritt, dass man heute so einfach mit Menschen, denen man nicht täglich begegnet, in Verbindung bleiben kann. Aber entweder funktioniert es trotzdem nicht oder gerade deshalb nicht. Weil das Ganze so beliebig geworden ist und so gelangweilt. Vielleicht ist das alles ja derart simpel und fordert so wenig, dass eigentlich gar kein Kontakt mehr zustande kommen kann. Weil die Voraussetzung davon, Beziehungen zu halten womöglich doch etwas Verbindlichkeit*, Engagement und Interesse ist.
Wahrscheinlich habe ich dieses Einstein-Zitat jetzt aber einfach zu sehr aus seinem Zusammenhang gerissen und so lange gedreht, bis es zu der „Kontakt-Verstimmung“ passt, die mich gerade plagt. Ich sollte es in einem Sozialen Netzwerk posten. Für ein paar Klicks – damit ich mich wieder „gelikt“ fühle.
Wie sich unsere Beziehungen durch die Mediennutzung verändern und Verbindlichkeit dabei zunehmend vermieden wird, beschreibt Sherry Turkle in: Verloren unter 100 Freunden: Wie wir in der digitalen Welt seelisch verkümmern, Riemann Verlag, 2012
Passt genau zu meiner Auffassung von beliebiger Kontaktaufnahme ohne Engagement oder evtl Empathie. Wie schön war es doch noch Briefe zu schreiben, und weniger mühsam mit einer Stimme zu kommunizieren ……….. unsere alte Generation beneidet die jüngere in diesem sozialen Miteinander in keiner Weise ……