Lippenstift, Computermaus und High Heel

Miserable Performance

Der Laptop bleibt im Schrank, gleich neben dem eingemotteten Lieblingskleid. Alles versinkt im Chaos und nichts funktioniert mehr wie früher – aber das Ergebnis ist grandios.

Der wahrscheinlich einzige treue Leser meines Blogs hat mich mittlerweile mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass ich schon sehr lange nichts mehr geschrieben habe. Er hat Recht mit seiner Kritik und es kommt sogar noch viel schlimmer: Meine Performance ist gerade einfach miserabel.

Nichts von meiner inneren „To-do-Liste“ ist abends erledigt. Meinen Laptop klappe ich schon gar nicht mehr auf, damit er nicht so verstaubt. Und in der gesamten Wohnung liegt alles Mögliche kreuz und quer auf dem Boden. Meine Haare sind viel zu lang für eine Frisur, geschminkt habe ich mich sowieso monatelang nicht mehr und sogar die Augenringe ignoriere ich mittlerweile stoisch. Zuhause sieht man mich nur noch in Jogginghose und T-Shirt voller Gemüse- und Keksflecken. Man muss sich das mal vorstellen: Der Paketbote kennt mich nur so … Meine Antworten auf E-Mails und WhatsApps lassen mitunter Tage lang auf sich warten und Termine muss ich ständig kurzfristig verschieben oder ich sage sie einfach gleich ab. Kein Chef der Welt würde mich in diesem „Low-Performance-Zustand“ einstellen.

Als ich das erste Mal von „Performance“ im Zusammenhang mit der Leistung im Job gehört habe, das muss etwa vor zwölf Jahren gewesen sein, war ich ziemlich verwirrt. Bisher hatte ich bei „Performance“ vor allem an Kunst denken müssen, die ich nicht verstehe. Aber seit einigen Jahren geistert dieser Begriff mit einer für mich neuen Bedeutung durch Büros und Medien. „Deine Performance ist schlecht!“ fühlt sich schlimmer an, als die simple Kritik an der eigenen Arbeitsleistung. Es ist wie ein Schlag ins Gesicht als „Low Performer“ beschimpft zu werden. Denn es hört sich allumfassender an, erbarmungsloser. „Performance“ schließt alles mit ein, was bei der altmodischen Arbeitsleistung noch zum Privatleben und der Urlaubs- und Freizeitgestaltung gehört hat. Liest man sich durch diverse Wirtschaftsblogs und -ratgeber, so lernt man, dass dieses Komplettpaket auch noch Spaß machen soll. Für mich wirkt das so, als müsste man ständig einem wachsamen Publikum einen „smarten“ Auftritt bieten, weil es die perfekte Inszenierung erwartet.

Eigentlich kann ich ganz froh sein, nicht zu den „High Performern“ zu gehören. Denn man muss dieses Niveau ja halten – am besten 24 Stunden lang und danach noch auf allen Kanälen der sozialen Medien.

Ich bin da also raus, aber ironischerweise fühle ich mich zum ersten Mal überhaupt ein bisschen stolz darauf, was ich im vergangenen Jahr alles geschafft habe. Denn vor zwölf Monaten habe ich einen bezaubernden, kleinen Menschen auf die Welt gebracht. Und ich darf ihn dabei begleiten, wie wunderbar er sich entwickelt und seine Welt erobert.

Dieser kleine Mann ist übrigens ein echter „High Performer“! Er arbeitet den ganzen Tag an seinen Fähigkeiten und gönnt sich kaum Pausen. Stehen wir Schlange an der Kasse, so weiß er genau, wie er mit seinen Konkurrenten kommunizieren muss, damit wir sofort ganz nach vorne dürfen. Er kommt mit atemberaubend wenig Schlaf aus und hat mit seinem starken Willen sogar schon Chefqualitäten. Denn wenn mir beim Bobby-Car-Schieben wieder ständig die Augen zufallen, motiviert er mich souverän, aber beharrlich mit seinem mitreißend begeisterten Lachen bloß nicht damit aufzuhören.

Wäre er mein Vorgesetzter, hätte er mich sicherlich schon in diverse Mitarbeiterschulungen geschickt. Dort würde ich endlich lernen, noch mehr Dinge gleichzeitig zu tun. Zum Beispiel Brei kochen und nebenher Fußball spielen, Windeln wechseln beim Puzzlelegen und Zähneputzen während des Spaziergangs …

Immerhin habe ich jetzt diesen Blogeintrag geschrieben. Meistens nebenher von irgendwas, oder anstatt zu schlafen, um die Zeit maximal effizient zu nutzen. Das verbessert meinen „Score“ hoffentlich schon erheblich. Denn meinen einzigen treuen Leser möchte ich wirklich nicht verlieren!

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